Warum Alice nicht die Klappe halten sollte

Verfolgt man die Berichterstattung, so bleibt von der Vorstellung des neuen Buches Prostitution – ein Deutscher Skandal von Alice Schwarzer in der Urania Berlin ein Nachgeschmack, der die Debatte auf das Niveau einer Schlammschlacht herabsetzt. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Prostitution, die radikale Kritik an einem System, das boomt, weil Frauen in liberalisierten Märkten mit eklatantem Armutsgefälle keine andere Perspektive sehen, ist unbestritten ein Verdienst der Emma-Herausgeberin. Ihre Kritik richtet sich gegen die InitiatorInnen des ProstG und die NutznießerInnen der Liberalisierung, nicht aber gegen Prostituierte. Deren Vertreterinnen schlagen gleichwohl reflexartig zurück und wollen rechtliche Schritte gegen Alice Schwarzer einleiten. Vorwurf: Rufmord. (Eine bessere Werbung für ihr Buch hätte sich Alice Schwarzer übrigens nicht wünschen können). Bis heute ist jedoch nicht ganz klar, ob die VertreterInnen der Huren-Organisationen im Interesse eines repräsentativen Querschnitts der gesamtem Prostituierten-Kohorte auftreten oder lediglich die ökonomischen Interessen weniger AkteurInnen vertreten, die vom ProstG profitieren. Sie fordern eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder, fordern mehr Freiheiten und gesellschaftliche Anerkennung ihres Berufes, stellen aber Prostitution an sich nicht in Frage. Das System ist jedoch explizit von Geschlechterdifferenzen und Geschlechterhierarchien geprägt, den häufigsten Ursachen für eine strukturelle Benachteiligung von Frauen im Arbeitsmarkt. Finanzielle Ausbeutung, sexuelle Diskriminierung, Gewalt und Substanzabhängigkeit sind im Frauenberuf „Hure“ weiter verbreitet als in anderen „typischen“ Frauenberufen. Dass sich die soziale Lebensrealität durch das ProstG, wie von den InitiatorInnen beabsichtigt nicht verbessert hat, sondern im Gegenteil, ZuhälterInnen und BordellbetreiberInnen gestärkt hat, wird von letzteren unumwunden zugegeben. Damit konterkariert das ProstG alle Bestrebungen, die auf eine nicht nur formale sondern faktische Chancengleicheit abzielen. Organisationen, die für sich in Anspruch nehmen, sich für die Rechte von Frauen einzusetzen, müssten logischerweise auch das System Prostitution in Frage stellen. Da das nicht zu erwarten ist, braucht es weiterhin kritische Stimmen, wie die von Alice Schwarzer. Über die Form kann man sich natürlich streiten – wobei ein nackter Hintern, wie in der Urania von einer Hure präsentiert „mein Beruf gehört mir“ auch nicht gerade ein sachliches Argument ist.
2 Antworten zu „Warum Alice nicht die Klappe halten sollte“
Dieser Artikel ist eine sehr einseitige Darstellung des tatsächlichen Verlaufs. Sachliche Argumente wurden von vielen Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmern geliefert, auch wenn Alice Schwarzer versuchte, sie wegzuwischen. Wenn Sie die Stimmen von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern hier nicht ausblenden wollen, können Sie die folgenden Links in meinem Post veröffentlichen. Zudem finden Sie unten einen Link zum Lagebild Menschenhandel 2012 des LKAs in NRW. Der folgende Artikel führt Kommentare auf, die sowohl von Sexarbeiterinnen und Sexarbeiterin als auch von Experten gemacht wurden, die nicht auf dem einseitig besetzten Podium saßen. „Alice Schwarzers Anti-Prostitutionsveranstaltung in Berlin erhält Gegenwind von Sexarbeiter_innen“ http://www.sexwork-deutschland.de/Prostituierten-Vereinigung/Aktuelles/Eintrage/2013/11/18_Alice_in_der_Urania.html. Videos mit weiteren Wortbeiträgen, u.a. von Tanja Gangarova, Fachreferentin für Migration bei der Deutschen AIDS-Hilfe, sind hier zu sehen (inkl. Niederschrift). „Videos der Protest-Aktion gegen Alice Schwarzer“
http://wp.me/P294H2-OR.Des weiteren empfehle ich die Lektüre des Lagebilds Menschenhandel 2012 des LKAs in Nordrhein-Westfalen. „Anzahl der Verfahren trotz hoher Kontrolldichte in NRW erneut rückläufig. Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes auf die Situation von Menschenhandelsopfern nicht erkennbar. „Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung 2012“ http://www.polizei-nrw.de/media/Dokumente/Behoerden/LKA/Lagebild_MH_2012.pdf
Danke für den Beitrag. Es werden hier keine Stimmen ausgeblendet sofern sie sich an die üblichen Nettiquetteregeln halten. Die Tatsache dass die Verfahren wegen Menschenhandels in NRW rückläufig sind ändert nichts an der Situation der Prostituierten, die dem Gewerbe einzig und allein aus prekären Gründen nachgehen.